Orgelreise nach Salzburg 2012
Erwin Messmer
Salzburg – eine Orgelstadt?
Dass in Salzburg, ähnlich wie später im Stift St. Florian, einer der begnadetsten Organisten einen guten Teil seines Lebens verbracht, jedoch kaum etwas für die Orgel komponiert hat, weiss man. Dass Salzburg aber eine sehr vielfältige und in vieler Hinsicht einmalige Orgellandschaft in sich birgt, das weiss kaum jemand. Jedenfalls reist man normalerweise wegen der Festspiele, wegen Mozart, wegen der Festung Hohensalzburg in die wunderschöne Stadt an der Salzach und nicht wegen ihrer Orgeln. Jürg Brunner ist da eine Ausnahme, und der BOV ist ihm gerne gefolgt.
Die erste Orgel, im Kapuzinerkloster, stellte Brunner gleich selber vor: Johannes Pirchner 1989 (II/P/26), ein Instrument, das sich für ein breites stilistisches Spektrum eignet. Es erklangen Bach und Böhm, aber auch Mendelssohns Vaterunser-Sonate, und sogar Louis Vierne. Selbst Jehan Alains Le jardin suspendu mit seinen knifflig zu realisierenden Klangebenen lässt sich adäquat darstellen. Auch die Litanies als Schlussfeuerwerk vermochten voll zu überzeugen.
Ein architektonisch besonders eindrückliches, nordisch anmutendes modernes Gotteshaus - viel Holz, dachbodenartige Giebelkonstruktion, faszinierendes Lichtspiel durch die vielen Fenster - ist die Aussenstadtkirche St. Paul. Die Orgel ist vom schwedischen Karl Nelson 2012 erbaut worden und fügt sich sehr schön in den Raum. Mit den 24 Registern, verteilt auf Hauptwerk, Nebenwerk und Pedal mischte Bernhard Gfrerer, Organist an der Franziskanerkirche, die sonnige, morgendlich heitere Stimmung des Raums musikalisch aufs munterste auf. In der altehrwürdigen Franziskanerkirche stehen zwei Metzler-Instrumente. Die ältere, klanglich ausgewogene Chororgel war leider wegen Reinigungsarbeiten nicht zu hören. Auf der Hauptorgel spielte uns der Meister Musik von Mozart, Lemmens, Guilmant u.a., wobei er sowohl die poetischen Seiten des Instruments wie auch ein durch alle Knochen fahrendes Klanginferno demonstrierte.
Eine besondere Rarität stellt die Walzenorgel auf der Festung Hohensalzburg dar. Bei strahlendem Wetter, unter der kenntnisreichen Führung von Frau Dr. Siegrid Schmidt verlebten wir einen wahrlich fürstlichen Nachmittag hoch über der Stadt. Bei dieser Gelegenheit traten wir auch in hautnahen Kontakt mit den Innereien des Salzburger Stiers, eben dieser automatischen Orgel, die periodisch mit Originalwerken von Leopold Mozart, Josef Haydn und anderen die Salzach-Stadt beschallt.
In der barocken, aber eisigkalten Pfarrkirche Mülln steht ein Instrument von Kögler - Edskes aus dem Jahr 2003. 22 Register verteilen sich auf Hauptwerk, Oberwerk und Pedalwerk. Die Orgel ist dem süddeutschen Barock verpflichtet, die Tastaturumfänge sind beschränkt. Entsprechend das Programm, das uns Jürg Brunner in einem äusserst brilliant und inspiriert gespielten Konzert darbot: Werke von Kerll, Muffat, Mozart und Bach, wobei das selten gespielte Capriccio über „den Abschied des geliebtesten Bruders“ (BWV 992) als besondere Perle in Erinnerung bleibt.
In der Stiftskirche St. Peter, im Herzen der Altstadt, haben berühmtere Interpreten gespielt als Thomas Leutenegger und ich. Beispielsweise wurde in dieser Kirche Mozarts grosse c-Moll Messe uraufgeführt, mit dem Komponisten am Dirigentenpult und Konstanze als Sopransolistin. Sei's drum, wir haben uns trotzdem (oder gerade deswegen?!) gut geschlagen. Mit Musik von Frescobaldi und Moretti führte uns Thomas die italienische Chororgel von Franz Zanin (II/P/26) vor. Das Ungewöhnliche: das Instrument vereinigt zwei Orgeln in sich, die eine spricht zum Mönchschor, die andere ins Kirchenschiff, wobei der Spieler im Mönchschor sitzt. Ich selber machte mich in aller Herrgottsfrühe mit nur einer knappen Stunde Vorbereitungszeit auf der pneumatischen Hauptorgel aus dem Jahr 1918 zu schaffen, einem sehr schön klingenden Instrument von Hans Mertel (II/P/37), das noch erstaunlich gut funktioniert. Es erklangen Wagners Pilgerchor in der Bearbeitung von Liszt, der Chant Héroïque von Langlais und das Finale der Zweiten Sonate von Guilmant.
Ein Höhepunkt war der Besuch der Kajetanerkirche, einem barocken architektonischen Bijou, mit ihrer Brüstungsorgel von Christoph Egedacher aus dem Jahr 1696. Es handelt sich um die einzige vollständig erhaltene Orgel dieses Meisters und um eine der ältesten Orgeln der Stadt, die von der Vorarlberger Firma Rieger 1982 fachgerecht auf den ursprünglichen Zustand zurückgeführt wurde. Der Stiftskapellmeister von St. Peter, Armin Kircher, demonstrierte uns mit einem brillianten Rezital auf eindrückliche Weise, wie man bei kluger Literaturauswahl, unter Anwendung aller professionellen Registrierungskniffe. aus einem klanglich eher beschränkten Instrument (8 Register, verteilt auf ein Manual und Pedal, beide mit kurzer Oktave) ein äusserst vielseitiges und unterhaltsames Farbenspektrum hervorzaubern kann.
In der Kirche St. Sebastian an der Linzergasse (auf dem dazugehörigen historischen Friedhof liegt Konstanze begraben) befindet sich ein weiteres historisches Kleinod, eine Orgel von Carl Mauracher aus dem Jahr 1828. 12 Register, ein Manual und ein kleines süddeutsches Pedal genügten dem grossartig aufspielenden Kaplan Daniel Kretschmar, der sich in seiner schwarzen Kutte auf die Orgelbank schwang, uns ein unvergessliches Rezital mit Werken von Byrd, Schnizer, Reincken und Erbach zu spielen, wobei mich die charmante frühklassische Sonate B-Dur von P. Franz Xaver Schnizer und die g-Moll-Fuge von Joh. Adam Reincken mit ihren wirblig repetierten Noten besonders beeindruckten.
Die Kirche Maria Plain, Marienwallfahrtsort mit weitem Ausblick auf Salzburg und das umliegende Salzachland, ein wahres Barockjuwel, wird klanglich wunderbar erfüllt von einer ebenfalls eher kleinen, klug disponierten Orgel aus dem Jahr 1998, erbaut im historischen Gehäuse von Georg Westenfelder. 19 Register, verteilt auf zwei Manuale und Pedal, genügten dem versiert und musikantisch aufspielenden Titular Hans Josef Knaust für ein faszinierendes Konzert mit Werken von Bach, Mozart (KV 594), Couperin und Muffat.
In der Pfarrkirche St. Antonius von Itzling erwartete uns Hans Peter Graf zu einem musikalischen Feuerwerk der typisch Grafschen Art. Auf der Rieger-Orgel von 2010 (II/P/31, elektron. Setzer), französich-romantisch disponiert und natürlich mit einer Voix Céleste ausgerüstet - ein für Graf unabdingbares Register! - spielte uns dieser ein veritables Rezital mit Werken von Wilscher, Reger, Boëly, Vierne und Fleury. Gleichsam als Apotheose folgte zum Schluss eine Improvisation über Te Deum.
Im Salzburger Festspielhaus steht der nagelneue Spieltisch (I/P/28) für die soeben restaurierte Freiluftorgel des Toscaninihofs, erbaut 1925 von der Orgelbaufirma Cäcilia (ehem. Mauracher). Die Pfeifen klingen ins Freie hinaus. Mittels besonderer Schwellwände kann sie aber auch im Saal als Fernwerk benutzt werden. Hans-Josef Knaust und Jürg Brunner spielten in diesem fabrikhallenartigen Raum hinter der Bühne, umstellt von abenteuerlich anmutenden Theaterkulissen, munter um die Wette, und so mancher Tourist mag auf dem Platz draussen verwundert den Kopf gehoben und sein Ohr nach oben gerichtet haben.
Auf den vier Chororgeln des Salzburger Doms interpretierten Jürg Brunner, Max Glauser, Christine Heggendorn und Linda Rickli eine von Domorganist Prof. Heribert Metzger arrangierte Mozart-Komposition (Nocturne KV 286) in launig musikalischem Dialog. Auf der rechten Seitenempore, wo Glauser in die Tasten griff, hatte weiland Mozart seine Orgeldienste absolviert. Die Instrumente stammen von Pirchner (Evangelienorgel und Epistelorgel) und von den Gebrüdern Zanin (Venezianische und Renaissance-Orgel), sie wurden alle in den 90erJahren erbaut. Die Hauptorgel (HW/RP/SW/P/58) wurde 1988 von Metzler erbaut. Die 58 Registerzüge wollen allesamt von Hand gezogen bzw. abgestossen werden: das monumentale Instrument ist gemäss dem damals gültigen jahrzehntelangen Metzlerschen Credo rein mechanisch! Domorganist Heribert Metzger führte sie mit eindrücklichen Improvisationen vor.
Ein besonders klangprächtiges Instrument beherrscht auch optisch das Podium des grossen Mozarteumsaals. Die hervorragende Orgelbaufirma Eule aus Bautzen, die schon zu DDR-Zeiten im Orgelbau Denkwürdiges geleistet hat, erbaute sie 2010. Das Instrument mit 50 Registern auf drei Manualen und Pedal ist mit 9999 Setzerkombinationen ausgerüstet. Heribert Metzger improvisierte sich inspiriert und virtuos durch alle Klangfarben hindurch, vom leise wispernden Gesäusel bis zum symphonischen Fortefortissimo. Hörenswert waren auch seine von grosser Erfahrung zeugenden Ausführungen zur Interpretation romantischer Orgelmusik, insbesondere der Kompositionen Max Regers. Auch Jürg Brunner griff zum Schluss mit hörbarer Lust in die Tasten und liess improvisierenderweise anhand des alten Volksliedes den Mond nicht nur still, sondern zunehmend strahlend und mächtig über unseren Köpfen aufgehen.